Das meinen wir!
Gebt den Kindern und Jugendlichen ihren Fußball zurück.
Von Deniz Solmaz (Leiter JugendFörderzentrum)
Ob Julian Draxler, Mario Götze, Thomas Müller, Mesut Özil oder Manuel Neuer. Immer mehr gut ausgebildete Spieler schaffen den Sprung aus den Nachwuchsleistungszentren der Bundesligisten in die Weltspitze des internationalen Fußballs. Nicht erst nach den spektakulären Offensivleistungen der deutschen Nationalmannschaft schauen viele Fußballnationen auf unsere heimische Jugendausbildung. Doch wie ist der Stand zurzeit wirklich? Wie sieht es denn auf den Sportplätzen bei den kleinsten Fußballern aus?
Motiviert durch die Erfolge vieler deutscher Jungprofis erlebt man auf vielen Fußballplätzen ein Umfeld des unbedingten Erfolgsstrebens. Ehrgeizige Zuschauer, die vermehrt versuchen auf das Spielgeschehen Einfluss zu nehmen. Wir Erwachsene, da nehme ich auch uns als Trainer und Betreuer nicht aus, die durch überzogenen Siegeswillen und oftmals überhöhter Erwartungshaltung die „Befehlsempfänger" durch permanentes Dirigieren zu Höchstleistungen trimmen wollen. Das alles mit dem Ziel, das Spielfeld als Sieger zu verlassen. Eventuell geht dies bei vielen engagierten Eltern mit dem Glauben einher, dass der achtjährige Filius vermeintlich schon einem neuen Götze gleicht. Oftmals beschleicht einem das Gefühl, dass es uns Erwachsene viel wichtiger ist den Sieg zu erringen, als den Kindern, die einfach nur ihrer Lieblingssportart nachgehen wollen.
Die Frage ist: wohin entwickelt sich der Jugendfußball? Auf der einen Seite ist die Liste der jungen talentierten Kicker in den Top-Ligen enorm, wie aber ist es auf der anderen Seite zu erklären, dass viele Vereine gerade nach den E-Junioren über eine große Fluktuation klagen und viele Spieler verlieren? Viele, oftmals mit großer Motivation gestartete Jungkicker, geben entnervt das Fußballspielen wieder auf. Ohne Zweifel, der demographische Wandel macht auch vor der beliebtesten Sportart der Kinder nicht halt. Gleichwohl ist dies nicht die einzige Antwort auf die hohe „Aufhör-Quote" nach der E-Jugend. Was kann man unternehmen um dies einzudämmen?
Spieler brauchen ihren Raum
Man versetze sich in die Lage eines achtjährigen Fußballers, der mit unheimlicher Freude seinen Lieblingssport betreibt. Am Spieltag selbst bekommt er bei jedem Ballbesitz von jeder Seite „Tipps". Der Trainer ruft „Links!", die Mutter „Schieß!" und sein Vater „Lauf!". Diese Flut an „Tipps" überfordern ihn. Er muss nicht nur die „Tipps" von außen einsortieren, sondern nebenbei auch noch das Spielgerät kontrollieren. Zumeist verliert er als Resultat dieser Überforderung den Ball, was ihm nicht selten einen Tadel der Unterstützer einbringt. Solche Aktionen sind leider nicht selten bei vielen Juniorenspielen. Befehle von Erwachsenen zu befolgen macht auf die Dauer wenig Spaß, sodass sich eine Spielkultur des Ausprobierens und der Kreativität bedauerlicherweise nicht entwickeln lässt.
Wie soll ein Kind lernen eigene Entscheidungen zu treffen, wenn ihm diese dauerhaft abgenommen werden? Aus diesem Grund ist es unheimlich wichtig, dass wir Spielern wieder ihren Raum zurück geben, indem sie auch einfach mal machen dürfen. Früher hieß dieser Raum Bolzplatz.
Jetzt spreche ich mal aus meiner Zeit als Jungkicker: Am wohlsten haben wir uns gefühlt, wenn wir Kinder unter uns waren. Hier konnten wir ständig Entscheidungen treffen. Ganz ohne die Angst zu haben, irgendwelchen Erwachsenen nicht zu gefallen. Die gemachten Erfahrungen kann man einem Kind nicht mehr nehmen. Viel eher bereichern sie die Persönlichkeit des Kindes ungemein und sind so auch wichtiger Bestandteil der kindlichen Entwicklung.
Der Umgang mit Fehlern muss sich radikal ändern
Im Laufe des Lebens baut man einen großen Schatz an gemachten Erfahrungen auf. Man musste schon viele Entscheidungen treffen. Dabei ist es nicht selten, dass gerade die vielleicht unglücklicheren Entscheidungen beinhalten oftmals den größten Lernerfolg. Nicht ohne Grund ist unser Erfahrungsreichtum unersetzlich und insofern ist jede eigene Erfahrung von positiver Bedeutung. Man denke nur an die berüchtigte heiße Herdplatte.
Gerade Kinder in ihrer Anfangszeit beim Fußball machen viele Erfahrungen. Um sich das daraus resultierende Wissen überhaupt erst anzueignen, passieren sicherlich auch viele Fehler. Fehler werden nun mal gemacht. Dabei ist es aber von zentraler Bedeutung wie seine Vorbilder, nämlich die großen Erwachsenen, mit diesen Fehlern umgehen. Jungkicker wägen daher ständig ab, wie sie den Erwachsenen am besten gefallen.
Kommen wir wieder zu unserem achtjährigen Fußballer. Dieser steht nun im Zuge seiner Entwicklung das erste Mal auf dem Sportplatz. Voller Vorfreude und gespickt mit Kreativität und Risikobereitschaft (Kinder haben eine deutlich höhere Risikofreude als wir Erwachsene, wie wir aus unseren gemachten Erfahrungen wissen) probiert er sich jetzt aus. Sei es einen riskanten Pass zu spielen oder auch mal zwei Spieler auf einmal auszudribbeln. Wird dieser Spieler bei seinen kreativen Momenten lautstark kritisiert, verknüpft er diese Kreativität und das Risiko, welches er eingegangen ist, mit einem negativen Gefühl. Die Schlussfolgerungen sind klar und ernüchternd: Kreativität und Risiko sind nicht gewollt. Doch sind es nicht genau die Spieler, die Mut zum Risiko haben, die wir gerne spielen sehen? Fragen Sie mal die Kinder welches ihre Lieblingsfußballer sind. Und freuen wir uns nicht auch, Messi bei seinen riskanten Dribblings und Pässen zu beobachten? Was glauben Sie, wie oft solche Spieler in ihrem Fußballerdasein bei Dribblings hängen geblieben sind? Wie oft riskante Pässe vielleicht nicht angekommen sind? Ja, wie oft sie Fehler machten. Hätte man Götze im Kindesalter zugerufen, dass er nur sichere Bälle spielen darf...Was wäre aus ihm geworden? Nicht zu vergessen ist das gewonnen Selbstvertrauen, wenn man mal einen Gegner mit einem Trick ausgespielt hat. Vielleicht sogar ausgerechnet mit einem Trick, der vorher nicht klappte. Kein Mensch macht Fehler mit Absicht, sonst würde es sich um Sabotage handeln.
Ausbildung wichtiger als Ergebnisse
Spielergebnisse dürften im Kinderbereich keine Rolle spielen. Es sollte sekundär sein, ob man sieben Tore schießt und neun Tore kassiert. Grundsätzlich muss die Ausbildung und die Entwicklung der Spieler im Jugendfußball das zentrale Ziel sein. Wem nützt es, wenn man bei den E-Junioren ungeschlagener Tabellenführer ist, aber im Mannschaftskader Spieler vorhanden sind, die sehr selten spielen? Oder der Sieg gar auf Kosten der Kreativität und der Entwicklungsmöglichkeiten der Spieler geht? Erfahrungen zu sammeln, Risikofreude zu entdecken, die Entwicklung als toller Fußballer und ,was der wichtige Aspekt sein dürfte, als selbstbewusster und lebensfroher Mensch durch die Welt zu gehen ist doch erstrebenswerter als gewonnene Turniere, Spiele oder Meisterschaften. Sicherlich wollen die Kinder sich messen und auch gerne die Vergleiche für sich entscheiden. Dies ist unbestritten und dies sollte man natürlich auch nicht unterbinden. Nur stellt sich die Frage, ob wir als Erwachsene alles dafür tun sollten, dass sie diese Vergleiche für sich entscheiden. Meiner Meinung nach ist dies einzig und allein mit einem klaren Nein zu beantworten.
Sobald das Ergebnis in den Hintergrund rückt, ist es für viele von uns Erwachsenen auch einfacher, „Fehler" von Kindern zu akzeptieren und eher als Lernerfahrung zu empfinden. So können wir endlich den unnatürlichen Leistungsdruck herausnehmen und bieten den Kindern nicht nur gewollte, sondern auch tatsächliche Unterstützung.
Fazit
Ziel dieser Zeilen ist es, die Spieler wieder in den Mittelpunkt zu rücken. Der Jugendfußball ist im wahren Sinne des Wortes der Fußball der Jugend. Und nicht etwa der Fußball der Trainer oder Eltern. Wir sollten uns lediglich als Begleiter der Kinder verstehen. Diesen Weg müssen die Spieler zumindest ein Stück weit eigenverantwortlich beschreiten. Wichtig ist nur, dass wir immer für sie da sind.
Sicherlich erwischen wir uns alle gelegentlich selber dabei, wie wir Entscheidung einem Spieler direkt abnehmen. Auch passiert es uns, dass wir ihm sprichwörtlich diktieren, was er wie auf dem Sportplatz angehen soll. Wenn sich nach solchen Anweisungen ein Nachdenken einsetzt oder gar erste Anzeichen eines schlechten Gewissens breit machen sind wir auf dem richtigen Weg.
Es gibt manchmal Eltern und Trainer, die gerne einen Controller wie bei einer Playstation in der Hand hätten, mit der man das Kind steuern kann. Gerne spreche ich diese Personen an und frage sie, mit welcher Zielsetzung sie dies unternehmen. Oft höre ich, dass man ja für die Kinder eigentlich nur das Beste will.
Dies ist letztlich auch das Kernproblem und dies fasse ich wie folgt zusammen, denn wir haben eigentlich alle die gleiche Intension: Kinder sollen selbstbewusste, kreative, eigenständige und freundliche Persönlichkeiten sein, auf und neben dem Platz. Nur der Weg ist oftmals nicht der Richtige.
Fußball ist und bleibt die beliebteste Sportart für die Kinder. Der Zulauf bei den G- bis E-Junioren ist bei vielen Vereinen immens. Wir sollten alles dafür tun, die Spieler in Ihrer Individualität zu respektieren und zu schützen. Ihnen ein Stück Freiheit zu geben und ihnen einfach mal auch Vertrauen zu schenken.
Ich glaube, nur so kann es uns allen gelingen, den Kindern den Spaß an der schönsten Sportart der Welt zu bewahren.