Smartphone, so nicht!
Weniger Handy, mehr Freiheit
Weniger Handy, mehr Team (-gefühl)
Für die Gruppe: Handy weg!
Von Deniz Solmaz (Leiter JugendFörderzentrum)
Kennen Sie den Moment, indem Sie im Freundeskreis zusammensitzen, einer sein Handy zückt und kurz darauf zwei, drei andere nachziehen? Plötzlich schauen Sie ihre Freunde an, die am Smartphone in eine andere Welt abgetaucht sind – der Zauber des Moments ist dahin. Was passiert in diesem Moment? Der gegenseitige Respekt schwindet, das Zusammengehörigkeitsgefühl leidet, eine Konversation, in die alle eintauchen, ist quasi unmöglich.
Genau das Gleiche passiert im Jugendfußball tagtäglich: Vor dem Training, nach dem Spiel, auf der Auswärtsfahrt im Bus. Es gibt in Fußball-Mannschaften einen gemeinsamen Nenner: Bloß leider sieht der häufig so aus, dass sich alle einig sind, auf ihr Smartphone zu gucken. So entsteht keine Kommunikation, es gibt keine Reibung, Konflikte werden nicht mehr ausdiskutiert. Es kann nichts Schlimmeres für eine Gruppe geben. Aus meiner Sicht als langjähriger Jugendleiter und –trainer der TSG Wieseck ist das ein Horrorszenario für den Jugendfußball.
Die Gruppe muss sich miteinander auseinandersetzen
Denn das ständige Nutzen von Handys verhindert das Bilden einer Hierarchie. Handys stören in einer Gruppe, weil sie ablenken. Wenn eine Gruppe zusammensitzt und Führungsspieler am Handy chillen, haben sie keinen Einfluss auf die Gruppe. Egal in welcher Gruppe, wenn du etwas erreichen willst, musst du miteinander kommunizieren. Und es braucht Rollen, jeder muss seine Rolle haben. Das gilt auch für eine Mannschaft. Wenn es auf dem Platz eng wird, dann brauchst du eine Gemeinschaft. Dann brauchst du Führungsspieler, die Anweisungen geben. Aber Kommunikation muss man üben, im täglichen Umgang miteinander.
Die Spieler sollen sich auch in der Kabine nach dem Spiel ruhig mal richtig anmeckern, das ausdiskutieren und nicht direkt in die Handywelt abtauchen. Kritik müssen Spieler auch mal ertragen. Aber wenn der Meinungsführer am Handy hängt, alle duschen und hauen ab, ist der Konflikt nicht gelöst.
Kein unmenschlicher Umgang am Handy, sondern echte Gespräche von Angesicht zu Angesicht
Diese Kommunikation im direkten menschlichen Umgang, von Angesicht zu Angesicht, haben viele Jugendliche meiner Meinung nach verlernt bzw. nie richtig kennengelernt. „Wie geht’s dir?“ „Gut“ – damit sind „Gespräche“ häufig schon beendet.
Jugendliche trauen sich immer seltener, den direkten Kontakt zu suchen. Sie versuchen, Gespräche über das Handy zu führen. Sie fragen mich nach dem Spiel per WhatsApp-Nachricht: „Trainer, warum habe ich nicht gespielt?“ Ich antworte darauf nicht, weil ich mir wünsche, dass sie mich am Montag im Training direkt ansprechen. Im Training aber kommt dann niemand auf mich zu und fragt nach – ich habe tatsächlich das Gefühl, dass ein Großteil der Jugend verlernt hat, echte Konversation zu führen.
Die Hemmschwelle, Dinge zu sagen, ist über das Handy viel geringer – das gilt auch für Absagen. Spieler sollen mich anrufen, wenn sie nicht kommen, eine Absage als Text-Nachricht reicht mir nicht. Kommunikation über das Handy ist nicht nur tendenziell oberflächlich, sondern oft auch so unmenschlich. Absagen kann man schnell, die direkte Reaktion des anderen bekommt man nicht mit. Wie wäre es, wenn man sich gegenübersteht und die Traurigkeit des anderen sehen würde?
Wenn Trainer und Spieler sich kennen, kann das von Vorteil sein
Ich wünsche mir also mehr Menschlichkeit im Umgang miteinander, mehr echte, unverstellte Gespräche. Denn die besten Gespräche entstehen häufig aus Langeweile. Aber in unserer Gesellschaft ist Langeweile mittlerweile ein Tabu, sofort wird das Handy gezückt. Dann kommst du nicht mehr in Diskussionen. Aber ich will den jungen Fußballer doch kennenlernen, ich will wissen, wie es meinem Spieler geht, wie es in der Schule läuft und was ihn beschäftigt. Ich habe keine Lust auf Oberflächliches via Handy, sondern auf ehrliche Gespräche von Angesicht zu Angesicht. Der Mensch interessiert, nicht das Scheinheilige. Wenn man sich kennt, dann kann das für Spieler und Trainer von Vorteil sein.
Das ist wie in der Schule: Wenn man einen Lehrer hatte, den man mochte, hat man eher gelernt. Dass du auch im Fußball weißt: Da ist jemand, dem kann ich vertrauen. Oder wenn ein Spieler mal keine Lust aufs Training hat, aber dann sagt: Meine Jungs sind geil, ich habe ihnen gegenüber eine Verantwortung, ich gehe hin. Meine Spieler sollen sich mehr miteinander unterhalten, sich auch mal streiten, Hauptsache, sie reden miteinander, anstatt in jeder freien Minute auf die Handys zu schauen. Ich bin überzeugt, dass nur dann eine echte Hierarchie und ein Zusammengehörigkeitsgefühl entstehen kann.
Die Spieler sollen sich frei fühlen und Blödsinn anstellen können
Zu diesem Zusammengehörigkeitsgefühl gehört auch, dass man zusammenhält, meinetwegen an einem Wochenende auch mal gemeinsam beim Feiern eskaliert, aber dann keine Videos macht und der Trainer davon eben einfach nichts mitbekommt. Ich will, dass sich die Spieler frei fühlen. Wie im Trainingslager, an dem sie ohne Handys einfach sie selbst sind und auch mal Blödsinn anstellen. Frei fühlt man sich, wenn man keinen Idealen entsprechen muss und nicht von anderen mit potenziellen Fotos und Videos kontrolliert wird – beides Dinge, die mit dem Handy verbunden sind.
Handy-Regeln: Nicht gegen, sondern für die Mannschaft
Um diese Entwicklung voranzutreiben, haben wir bei der TSG Wieseck gewisse Regeln aufgestellt. Bei uns ist man auf der Anlage auch ohne Handy noch überlebensfähig. Im Trainingslager sammeln wir die Handys vor der Abfahrt ein, von da an gibt es zweimal am Tag für ca. 15 Minuten die Handys, danach sammeln wir sie wieder ein. Der erste Tag ist hart für die Spieler. Das Interessante ist aber, dass nach dem zweiten Tag in Österreich zum Beispiel viele Handys auch während der 15 Minuten liegen geblieben sind. Man muss die Jugendlichen nur dazu drängen, dann befassen sie sich von selbst mit der Gruppe, die da ist. Dann machen sie auch den größten Blödsinn – genau wie wir es früher als Jugendliche gemacht haben. Diese Freiheit, die sie dann spüren, ist meiner Meinung nach sehr wichtig.
Im ersten Moment nervt man die Jugendlichen also, wenn man ihnen die Handys abnimmt bzw. die Nutzung einschränkt – langfristig, denke ich, tut man ihnen damit etwas Gutes. Denn sie fangen an, sich miteinander zu beschäftigen.
Abschließend: Auch wenn es durch diese Zeilen so vorkommen mag, ich verteufele das Handy nicht. Wer alleine ist, kann es gerne für Diskussionen nutzen, Feedback geben. Aber keine Nutzung, wenn man im direkten Kontakt mit anderen Menschen steht. Auf dem Gelände im Laufe des Tages ist das Handy für mich die neue Zigarette. Ich will vorleben, dass man aufs Handy verzichten kann – für mich selbst, aber vor allem auch für die Jugendlichen, für die Gruppe, für die Mannschaft.